Vorwort zur dritten Ausgabe [1830]

Es sind bei dieser dritten Ausgabe vielfache Verbesserungen hin und wieder angebracht, besonders ist darauf gesehen worden, der Klarheit und Bestimmtheit der Exposition nachzuhelfen. Doch für den kompendiarischen Zweck des Lehrbuchs mußte der Stil gedrängt, formell und abstrakt gehalten bleiben; es behält seine Bestimmung, erst durch den mündlichen Vortrag die nötigen Erläuterungen zu erhalten.

Seit der zweiten Ausgabe sind mehrfältige Beurteilungen meines Philosophierens erschienen, die größtenteils wenig Beruf zu solchem Geschäft gezeigt haben; solche leichtsinnige Erwiderungen auf Werke, welche viele Jahre durchdacht und mit allem Ernste des Gegenstandes und der wissenschaftlichen Forderung durchgearbeitet worden, gewähren nichts Erfreuliches durch den Anblick der üblen Leidenschaften des Dünkels, Hochmuts, des Neides, Hohnes usf., die sich daraus aufdringen, noch viel weniger etwas Belehrendes. Cicero sagt Tusculanae disputationes, l. II [4]: "Est philosophia paucis contenta judicibus, multitudinem consulto ipsa fugiens, eique ipsi et invisa et suspecta; ut, si quis universam velit vituperare, secundo id populo facere possit."7)  Es ist um so populärer, auf die Philosophie loszuziehen, mit je geringerer Einsicht und Gründlichkeit es geschieht; die kleinliche widrige Leidenschaft ist faßlich in dem Wiederklange, der ihr in anderen begegnet, und die Unwissenheit 8/32 gesellt sich mit gleicher Verständlichkeit dazu. Andere Gegenstände fallen in die Sinne oder stehen in Gesamtanschauungen vor der Vorstellung; es fühlt sich die Notwendigkeit eines wenngleich geringen Grades von Kenntnis derselben, um über sie mitsprechen zu können; auch erinnern sie leichter an den gesunden Menschenverstand, weil sie in bekannter, fester Gegenwart stehen. Aber der Mangel an allem diesem legt sich ungescheut gegen die Philosophie oder vielmehr gegen irgendein phantastisches leeres Bild los, das die Unwissenheit von ihr sich einbildet und einredet; sie hat nichts vor sich, an dem sie sich orientieren könnte, und treibt sich so völlig in Unbestimmtem, Leerem und damit in Sinnlosem herum. - Ich habe anderwärts das unerfreuliche und unfruchtbare Geschäft übernommen, einige dergleichen aus Leidenschaften und Unwissenheit gewobene Erscheinungen in ihrer unbedeckten Blöße zu beleuchten.8) 

Es hätte kürzlich den Anschein haben können, als ob vom Boden der Theologie und sogar der Religiosität aus eine ernsthaftere Untersuchung über Gott, göttliche Dinge und Vernunft in einem weiteren Bereiche wissenschaftlich angeregt werden sollte.9)  Allein sogleich der Anfang der Bewegung ließ solche Hoffnung nicht aufkommen; denn die Veranlassung ging von Persönlichkeiten aus, und weder die Prätention der anklagenden Frömmigkeit noch die angegriffene Prätention der freien Vernunft erhob sich zur Sache, noch weniger zum Bewußtsein, daß, um die Sache zu erörtern, der Boden der Philosophie betreten werden müsse. Jener Angriff des Persönlichen auf den Grund sehr spezieller Äußerlichkeiten der Religion zeigte sich mit der ungeheuren Anmaßung, über die Christlichkeit von Individuen aus eigener 8/33 Machtvollkommenheit absprechen zu wollen und ihnen damit das Siegel der weltlichen und ewigen Verwerfung aufzudrücken. Dante hat es sich herausgenommen, in Kraft der Begeisterung göttlicher Poesie die Schlüssel Petri zu handhaben und viele seiner - jedoch bereits verstorbener - Zeitgenossen namentlich, selbst Päpste und Kaiser, in die höllische Verdammnis zu verurteilen. Es ist einer neuen Philosophie der infamierende Vorwurf gemacht worden, daß in ihr das menschliche Individuum sich als Gott setze; aber gegen solchen Vorwurf einer falschen Konsequenz ist eine ganz andere wirkliche Anmaßung, sich als Weltrichter betragen, die Christlichkeit der Individuen aburteilen und die innerste Verwerfung damit über sie aussprechen. Das Schibboleth dieser Machtvollkommenheit ist der Name des Herrn Christus und die Versicherung, daß der Herr diesen Richtern im Herzen wohne. Christus sagt (Matth. 7, 20): "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", die ungeheure Insolenz des Verwerfens und Verdammens aber ist keine gute Frucht. Er fährt fort: "Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr, in das Himmelreich kommen; es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben? haben wir nicht in deinem Namen viel Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nicht erkannt; weichet alle von mir, ihr Übeltäter!" Die, welche im ausschließlichen Besitz der Christlichkeit zu sein versichern und von anderen diesen Glauben an sie fordern, haben es nicht so weit gebracht, Teufel auszutreiben, vielmehr viele derselben, wie die Gläubigen an die Seherin von Prevorst, tun sich etwas darauf zu gut, mit Gesindel von Gespenstern in gutem Vernehmen zu stehen und Ehrfurcht vor demselben zu haben, statt die Lügen eines widerchristlichen knechtischen Aberglaubens zu verjagen und zu verbannen. Ebensowenig zeigen sie sich vermögend, Weisheit zu reden, und vollends unfähig, große Taten der Erkenntnis und Wissenschaft zu tun, was ihre Bestimmung 8/34 und Pflicht wäre; Gelehrsamkeit ist noch nicht Wissenschaft. Indem sie mit der Masse der gleichgültigen Außendinge des Glaubens sich weitläufige Beschäftigungen machen, bleiben sie dagegen in Ansehung des Gehalts und Inhalts des Glaubens selbst um so dürrer bei dem Namen des Herrn Christus stehen und verschmähen vorsätzlich und mit Schmähen die Ausbildung der Lehre, welche das Fundament des Glaubens der christlichen Kirche ist, denn die geistige, vollends denkende und wissenschaftliche Expansion störte, ja verböte und tilgte den Eigendünkel des subjektiven Pochens auf die geistlose, am Guten unfruchtbare, nur an den bösen Früchten reiche Versicherung, daß sie im Besitze der Christlichkeit sich befinden und dieselbe ausschließlich sich zu eigen haben. - Diese geistige Expansion wird mit dem bestimmtesten Bewußtsein in der Schrift von dem bloßen Glauben so unterschieden, daß dieser erst durch jene zur Wahrheit werde. "Wer überhaupt an mich glaubt", sagt Christus (Joh. 7, 38), "von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen." Dies ist dahin sogleich in Vers 39 erläutert und bestimmt, daß aber nicht der Glaube als solcher an die zeitliche, sinnliche, gegenwärtige Persönlichkeit Christi dies bewirke, er noch nicht die Wahrheit als solche sei; im folgenden (39. Vers) ist der Glaube dahin bestimmt, daß Christus jenes vom Geiste gesagt, welchen empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der heilige Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verklärt; - die noch unverklärte Gestalt Christi ist die damals in der Zeit sinnlich gegenwärtige oder nachher so, was derselbe Inhalt ist, vorgestellte Persönlichkeit, die der unmittelbare Gegenstand des Glaubens ist. In dieser Gegenwart hat Christus seinen Jüngern selbst mündlich seine ewige Natur und Bestimmung zur Versöhnung Gottes mit sich selbst und der Menschen mit ihm, die Heilsordnung und die Sittenlehre geoffenbart, und der Glaube, den die Jünger an ihn hatten, begreift dies alles in sich. Dessenungeachtet wird dieser Glaube, dem an der stärksten Gewißheit nichts fehlte, nur für den Anfang und 8/35 bedingende Grundlage, für das noch Unvollendete erklärt; die so glaubten, haben noch nicht den Geist, sollen ihn erst empfangen - ihn, die Wahrheit selbst, ihn, der erst spät als jener Glaube ist, der in alle Wahrheit leitet. Jene aber bleiben bei solcher Gewißheit, der Bedingung, stehen; die Gewißheit aber, selbst nur subjektiv, bringt nur die subjektive Frucht formell der Versicherung, und dann darin des Hochmuts, der Verunglimpfung und Verdammung. Der Schrift zuwider halten sie sich fest nur in der Gewißheit gegen den Geist, welcher die Expansion der Erkenntnis und erst die Wahrheit ist.

Diese Kahlheit an wissenschaftlichem und überhaupt geistigem Gehalt teilt diese Frömmigkeit mit dem, was sie unmittelbar sich zum Gegenstande ihrer Anklage und Verdammung macht. Die Verstandesaufklärung hat durch ihr formelles, abstraktes, gehaltloses Denken ebenso die Religion von allem Inhalt ausgeleert als jene Frömmigkeit durch ihre Reduktion des Glaubens auf das Schiboleth des "Herr, Herr". Beide haben darin nichts voreinander voraus; und indem sie widerstreitend zusammentreffen, ist kein Stoff vorhanden, in dem sie sich berührten und einen gemeinsamen Boden und die Möglichkeit, es zur Untersuchung und ferner zur Erkenntnis und Wahrheit zu bringen, erlangen könnten. Die aufgeklärte Theologie hat sich ihrerseits in ihrem Formalismus, nämlich die Gewissensfreiheit, Denkfreiheit, Lehrfreiheit, selbst Vernunft und Wissenschaft anzurufen, festgehalten. Solche Freiheit ist allerdings die Kategorie des unendlichen Rechts des Geistes und die andere besondere Bedingung der Wahrheit zu jener ersten, dem Glauben. Allein was das wahrhaftige und freie Gewissen für vernünftige Bestimmungen und Gesetze enthalte, was das freie Glauben und Denken für Inhalt habe und lehre, diesen materiellen Punkt haben sie sich enthalten zu berühren und sind in jenem Formalismus des Negativen und in der Freiheit, die Freiheit nach Belieben und Meinung auszufüllen, stehengeblieben, so daß überhaupt der Inhalt selbst gleichgültig 8/36 sei. Auch darum konnten diese nicht einem Inhalt nahetreten, weil die christliche Gemeinschaft durch das Band eines Lehrbegriffs, eines Glaubensbekenntnisses vereinigt sein muß und es immer noch sein soll, dagegen die Allgemeinheiten und Abstraktionen des abgestandenen, nicht lebendigen rationalistischen Verstandeswassers das Spezifische eines in sich bestimmten, ausgebildeten christlichen Inhaltes und Lehrbegriffes nicht zulassen. Wogegen die anderen, pochend auf den Namen "Herr! Herr!", frank und frei die Vollführung des Glaubens zum Geist, Gehalt und Wahrheit verschmähen.

So ist zwar viel Staub des Hochmuts, der Gehässigkeit und Persönlichkeit wie leerer Allgemeinheiten aufgeregt worden, aber er ist mit der Unfruchtbarkeit geschlagen, er konnte nicht die Sache enthalten, nicht zu Gehalt und Erkenntnis führen. - Die Philosophie hat zufrieden sein können, aus dem Spiel gelassen worden zu sein; sie findet sich außerhalb des Terrains jener Anmaßungen, wie der Persönlichkeiten so der abstrakten Allgemeinheiten, und hätte, auf solchen Boden gezogen, nur des Unerfreulichen und Ungedeihlichen gewärtig sein können.

Indem aus dem größten und unbedingten Interesse der menschlichen Natur der tiefe und reiche Gehalt verkommen und die Religiosität, gemeinschaftlich die fromme und die reflektierende, dazu gekommen ist, die höchste Befriedigung ohne Inhalt zu finden, so ist die Philosophie ein zufälliges, subjektives Bedürfnis geworden. Jene unbedingten Interessen sind bei beiden Arten von Religiosität, und zwar von nichts anderem als von dem Räsonnement, so eingerichtet worden, daß es der Philosophie nicht mehr bedarf, um jenen Interessen Genüge zu leisten; ja sie wird, und zwar mit Recht, dafür gehalten, jenem neuerschaffenen Genügen und solcher ins Enge gezogenen Befriedigung störend zu sein. Die Philosophie ist damit ganz dem freien Bedürfnis des Subjekts anheimgegeben; es ergeht keine Art von Nötigung dazu an dasselbe, vielmehr hat dies Bedürfnis, wo es vorhanden 8/37 ist, gegen Verdächtigungen und Abmahnungen standhaft zu sein; es existiert nur als eine innere Notwendigkeit, die stärker ist als das Subjekt, von der sein Geist dann ruhelos getrieben wird, "daß er überwinde" und dem Drange der Vernunft den würdigen Genuß verschaffe. So ohne Anregung irgendeiner, auch nicht der religiösen Autorität, vielmehr für einen Überfluß und gefährlichen oder wenigstens bedenklichen Luxus erklärt, steht die Beschäftigung mit dieser Wissenschaft um so freier allein auf dem Interesse der Sache und der Wahrheit. Wenn, wie Aristoteles sagt, die Theorie das Seligste und unter dem Guten das Beste ist10) , so wissen die, welche dieses Genusses teilhaftig sind, was sie daran haben, die Befriedigung der Notwendigkeit ihr geistigen Natur; können sich enthalten, Anforderungen darüber an andere zu machen, und können sie bei ihren Bedürfnissen und den Befriedigungen, die sie sich für dieselben finden, belassen. Es ist des unberufenen Herzudringens zum Geschäfte der Philosophie oben gedacht worden; wie dasselbe sich um so lauter macht, je weniger es geeignet ist, teil daran zu nehmen, so ist die gründlichere, tiefere Teilnahme einsamer mit sich und stiller nach außen; die Eitelkeit und Oberflächlichkeit ist schnell fertig und treibt sich zum baldigen Dreinsprechen; der Ernst aber um eine in sich große und nur durch die lange und schwere Arbeit vollendeter Entwicklung sich genügende Sache versenkt sich lange in stiller Beschäftigung in dieselbe.

Der baldige Verschluß der zweiten Ausgabe dieses enzyklopädischen Leitfadens, welcher das Studium der Philosophie nach seiner oben angegebenen Bestimmung nicht leicht macht, hat mir die Befriedigung gegeben zu sehen, daß außer dem Lautwerden der Oberflächlichkeit und Eitelkeit eine stillere, belohnendere Teilnahme stattgefunden habe, welche ich nun auch dieser neuen Ausgabe anwünsche.

Berlin, den 19. September 1830 8/38

7) "Die Philosophie ist mit wenigen Richtern zufrieden, selbst mit Absicht die Masse fliehend und ihr wiederum verdächtig und verhaßt, so daß, wenn einer sie insgesamt tadeln wollte, er das wohl unter der Begünstigung des Volkes tun ... könnte" (Übers. Karl Büchner)

8) In den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik 1829 kündigt Hegel die Rezension von fünf Schriften an, die sich mit seiner Philosophie beschäftigen. Nur die Rezension von zweien dieser Schriften ist erschienen.

9) Gemeint ist der sogenannte Hallesche Streit zwischen der Evangelischen Kirchenzeitung und einigen Vertretern der theologischen Fakultät in Halle (1830).

10) vgl. Metaphysik XII, 7, 1072 b 24