C. Die Idee

§ 213

Die Idee ist das Wahre an und für sich, die absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität. Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Bestimmungen; ihr reeller Inhalt ist nur seine Darstellung, die er sich in der Form äußerlichen Daseins gibt und [der,] diese Gestalt in seine Idealität eingeschlossen, in seiner Macht, so sich in ihr erhält.

Die Definition des Absoluten, daß es die Idee ist, ist nun 8/367 selbst absolut. Alle bisherigen Definitionen gehen in diese zurück. - Die Idee ist die Wahrheit; denn die Wahrheit ist dies, daß die Objektivität dem Begriffe entspricht, - nicht daß äußerliche Dinge meinen Vorstellungen entsprechen; dies sind nur richtige Vorstellungen, die Ich Dieser habe. In der Idee handelt es sich nicht um Diesen, noch um Vorstellungen, noch um äußerliche Dinge. - Aber auch alles Wirkliche, insofern es ein Wahres ist, ist die Idee und hat seine Wahrheit allein durch und kraft der Idee. Das einzelne Sein ist irgendeine Seite der Idee, für dieses bedarf es daher noch anderer Wirklichkeiten, die gleichfalls als besonders für sich bestehende erscheinen; in ihnen zusammen und in ihrer Beziehung ist allein der Begriff realisiert. Das Einzelne für sich entspricht seinem Begriffe nicht; diese Beschränktheit seines Daseins macht seine Endlichkeit und seinen Untergang aus.
Die Idee selbst ist nicht zu nehmen als eine Idee von irgend etwas, sowenig als der Begriff bloß als bestimmter Begriff. Das Absolute ist die allgemeine und eine Idee, welche als urteilend sich zum System der bestimmten Ideen besondert, die aber nur dies sind, in die eine Idee, in ihre Wahrheit zurückzugehen. Aus diesem Urteil ist es, daß die Idee zunächst nur die eine, allgemeine Substanz ist, aber ihre entwickelte, wahrhafte Wirklichkeit ist, daß sie als Subjekt und so als Geist ist.
Die Idee wird häufig, insofern sie nicht eine Existenz zu ihrem Ausgangs- und Stützungspunkt habe, für ein bloß formelles Logisches genommen. Man muß solche Ansicht den Standpunkten überlassen, auf welchen das existierende Ding und alle weiteren noch nicht zur Idee durchgedrungenen Bestimmungen noch für sogenannte Realitäten und wahrhafte Wirklichkeiten gelten. - Ebenso falsch ist die Vorstellung, als ob die Idee nur das Abstrakte sei. Sie ist es allerdings insofern, als alles Unwahre sich in ihr aufzehrt; aber an ihr selbst ist sie wesentlich konkret, weil sie der freie, sich selbst und hiermit zur Realität bestimmende 8/368 Begriff ist. Nur dann wäre sie das Formell-Abstrakte, wenn der Begriff, der ihr Prinzip ist, als die abstrakte Einheit, nicht, wie er ist, als die negative Rückkehr seiner in sich und als die Subjektivität genommen würde.

Zusatz. Unter Wahrheit versteht man zunächst, daß ich wisse, wie etwas ist. Dies ist jedoch die Wahrheit nur in Beziehung auf das Bewußtsein oder die formelle Wahrheit, die bloße Richtigkeit. Dahingegen besteht die Wahrheit im tieferen Sinn darin, daß die Objektivität mit dem Begriff identisch ist. Dieser tiefere Sinn der Wahrheit ist es, um den es sich handelt, wenn z. B von einem wahren Staat oder von einem wahren Kunstwerk die Rede ist Diese Gegenstände sind wahr, wenn sie das sind, was sie sein sollen, d. h. wenn ihre Realität ihrem Begriff entspricht. So aufgefaßt ist das Unwahre dasselbe, was sonst auch das Schlechte genannt wird. Ein schlechter Mensch ist ein unwahrer Mensch, d. h. ein Mensch, der sich seinem Begriff oder seiner Bestimmung nicht gemäß verhält. Ganz ohne Identität des Begriffs und der Realität vermag indes nichts zu bestehen. Auch das Schlechte und Unwahre ist nur, insofern dessen Realität noch irgendwie sich seinem Begriff gemäß verhält. Das durchaus Schlechte oder Begriffswidrige ist eben damit ein in sich selbst Zerfallendes. Der Begriff allein ist es, wodurch die Dinge in der Welt ihren Bestand haben, d. h. in der Sprache der religiösen Vorstellung: die Dinge sind das, was sie sind, nur durch den ihnen inwohnenden göttlichen und damit schöpferischen Gedanken. - Wenn von der Idee gesprochen wird, so hat man sich darunter nicht etwas Fernes und Jenseitiges vorzustellen. Die Idee ist vielmehr das durchaus Gegenwärtige, und ebenso findet sich dieselbe auch in jedem Bewußtsein, wenn auch getrübt und verkümmert. - Wir stellen uns die Welt vor als ein großes Ganzes, welches von Gott erschaffen ist, und zwar so, daß sich uns Gott in derselben kundgegeben hat. Ebenso betrachten wir die Welt als durch die göttliche Vorsehung regiert, und darin liegt, daß das Außereinander der Welt ewig zur Einheit, aus der sie hervorgegangen ist, zurückgeführt und derselben gemäß erhalten wird. - In der Philosophie ist es von jeher um nichts anderes zu tun gewesen als um die denkende Erkenntnis der Idee, und allem, was den Namen der Philosophie verdient, hat stets das Bewußtsein einer absoluten Einheit dessen, was dem Verstand nur in seiner Trennung gilt, zugrunde gelegen. - Daß die Idee die Wahrheit ist, dafür ist der Beweis nicht erst jetzt zu verlangen; die ganze bisherige Ausführung und Entwicklung des 8/369 Denkens enthält diesen Beweis. Die Idee ist das Resultat dieses Verlaufs, welches jedoch nicht so zu verstehen ist, als ob dieselbe ein nur, d. h. ein durch anderes als sie selbst Vermitteltes wäre. Vielmehr ist die Idee ihr eigenes Resultat und als solches das ebenso Unmittelbare als Vermittelte. Die bisher betrachteten Stufen des Seins und des Wesens und ebenso des Begriffs und der Objektivität sind in diesem ihrem Unterschied nicht ein Festes und auf sich Beruhendes, sondern es haben sich dieselben als dialektisch erwiesen, und ihre Wahrheit ist nur die, Momente der Idee zu sein.

§ 214

Die Idee kann als die Vernunft (dies ist die eigentliche philosophische Bedeutung für Vernunft), ferner als Subjekt-Objekt, als die Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen, der Seele und des Leibs, als die Möglichkeit, die ihre Wirklichkeit an ihr selbst hat, als das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann usf., gefaßt werden, weil in ihr alle Verhältnisse des Verstandes, aber in ihrer unendlichen Rückkehr und Identität in sich enthalten sind.

Der Verstand hat leichte Arbeit, alles, was von der Idee gesagt wird, als in sich widersprechend aufzuzeigen. Dies kann ihm ebenso heimgegeben werden, oder vielmehr ist es schon in der Idee bewerkstelligt; - eine Arbeit, welche die Arbeit der Vernunft und freilich nicht so leicht wie die seinige ist. - Wenn der Verstand zeigt, daß die Idee sich selbst widerspreche, weil z. B. das Subjektive nur subjektiv und das Objektive demselben vielmehr entgegengesetzt, das Sein etwas ganz anderes als der Begriff sei und daher nicht aus demselben herausgeklaubt werden könne, ebenso das Endliche nur endlich und gerade das Gegenteil vom Unendlichen, also nicht mit demselben identisch sei, und so fort durch alle Bestimmungen hindurch, so zeigt vielmehr die Logik das Entgegengesetzte auf, daß nämlich das Subjektive, das nur subjektiv, das Endliche, das nur endlich, das Unendliche, das nur unendlich sein soll und so ferner, keine Wahrheit hat, sich widerspricht und 8/370 in sein Gegenteil übergeht, womit dies Übergehen und die Einheit, in welcher die Extreme als aufgehobene, als ein Scheinen oder Momente sind, sich als ihre Wahrheit offenbart.
Der Verstand, welcher sich an die Idee macht, ist der doppelte Mißverstand, daß er erstlich die Extreme der Idee, sie mögen ausgedrückt werden, wie sie wollen, insofern sie in ihrer Einheit sind, noch in dem Sinne und der Bestimmung nimmt, insofern sie nicht in ihrer konkreten Einheit, sondern noch Abstraktionen außerhalb derselben sind. Nicht weniger verkennt er die Beziehung, selbst auch wenn sie schon ausdrücklich gesetzt ist; so übersieht er z. B. sogar die Natur der Kopula im Urteil, welche vom Einzelnen, dem Subjekte, aussagt, daß das Einzelne ebensosehr nicht Einzelnes, sondern Allgemeines ist. - Fürs andere hält der Verstand seine Reflexion, daß die mit sich identische Idee das Negative ihrer selbst, den Widerspruch, enthalte, für eine äußerliche Reflexion, die nicht in die Idee selbst falle. In der Tat ist dies aber nicht eine dem Verstande eigene Weisheit, sondern die Idee ist selbst die Dialektik, welche ewig das mit sich Identische von dem Differenten, das Subjektive von dem Objektiven, das Endliche von dem Unendlichen, die Seele von dem Leibe, ab- und unterscheidet und nur insofern ewige Schöpfung, ewige Lebendigkeit und ewiger Geist ist. Indem sie so selbst das Übergehen oder vielmehr das sich Übersetzen in den abstrakten Verstand ist, ist sie ebenso ewig Vernunft; sie ist die Dialektik, welche dieses Verständige, Verschiedene über seine endliche Natur und den falschen Schein der Selbständigkeit seiner Produktionen wieder verständigt und in die Einheit zurückführt. Indem diese gedoppelte Bewegung nicht zeitlich, noch auf irgendeine Weise getrennt und unterschieden ist - sonst wäre sie wieder nur abstrakter Verstand -, ist sie das ewige Anschauen ihrer selbst im Anderen; der Begriff, der in seiner Objektivität sich selbst ausgeführt hat, das Objekt, 8/371 welches innere Zweckmäßigkeit, wesentliche Subjektivität ist.
Die verschiedenen Weisen, die Idee aufzufassen, als Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen, der Identität und der Differenz und so fort, sind mehr oder weniger formell, indem sie irgendeine Stufe des bestimmten Begriffs bezeichnen. Nur der Begriff selbst ist frei und das wahrhaft Allgemeine; in der Idee ist daher seine Bestimmtheit ebenso nur er selbst, - eine Objektivität, in welche er als das Allgemeine sich fortsetzt und in der er nur seine eigene, die totale Bestimmtheit hat. Die Idee ist das unendliche Urteil, dessen Seiten jede die selbständige Totalität und eben dadurch, daß jede sich dazu vollendet, in die andere ebensosehr übergegangen ist. Keiner der sonst bestimmten Begriffe ist diese in ihren beiden Seiten vollendete Totalität als der Begriff selbst und die Objektivität.

§ 215

Die Idee ist wesentlich Prozeß, weil ihre Identität nur insofern die absolute und freie des Begriffs ist, insofern sie die absolute Negativität und daher dialektisch ist. Sie ist der Verlauf, daß der Begriff als die Allgemeinheit, welche Einzelheit ist, sich zur Objektivität und zum Gegensatz gegen dieselbe bestimmt und diese Äußerlichkeit, die den Begriff zu ihrer Substanz hat, durch ihre immanente Dialektik sich in die Subjektivität zurückführt.

Weil die Idee a) Prozeß ist, ist der Ausdruck für das Absolute: "die Einheit des Endlichen und Unendlichen, des Denkens und Seins usf.", wie oft erinnert, falsch; denn die Einheit drückt abstrakte, ruhig beharrende Identität aus. Weil sie b) Subjektivität ist, ist jener Ausdruck ebenso falsch, denn jene Einheit drückt das Ansich, das Substantielle der wahrhaften Einheit aus. Das Unendliche erscheint so als mit Endlichem nur neutralisiert, so das Subjektive mit dem Objektiven, das Denken mit dem Sein. Aber in der negativen Einheit der Idee greift das Unendliche 8/372 über das Endliche hinüber, das Denken über das Sein, die Subjektivität über die Objektivität. Die Einheit der Idee ist Subjektivität, Denken, Unendlichkeit und dadurch wesentlich von der Idee als Substanz zu unterscheiden, wie diese übergreifende Subjektivität, Denken Unendlichkeit von der einseitigen Subjektivität, dem einseitigen Denken, der einseitigen Unendlichkeit, wozu sie sich urteilend, bestimmend herabsetzt, zu unterscheiden ist.

Zusatz. Die Idee, als Prozeß, durchläuft in ihrer Entwicklung drei Stufen. Die erste Form der Idee ist das Leben, d. i. die Idee in der Form der Unmittelbarkeit. Die zweite Form ist dann die der Vermittlung oder der Differenz, und dies ist die Idee als Erkennen, welches in der gedoppelten Gestalt der theoretischen und der praktischen Idee erscheint. Der Prozeß des Erkennens hat zu seinem Resultat die Wiederherstellung der durch den Unterschied bereicherten Einheit, und dies gibt die dritte Form der hiermit absoluten Idee, welche letzte Stufe des logischen Prozesses sich zugleich als das wahrhaft Erste und nur durch sich selbst Seiende erweist.