a. Das Bewußtsein als solches
α. Das sinnliche Bewußtsein
§ 418

Das Bewußtsein ist zunächst das unmittelbare, seine Beziehung auf den Gegenstand daher die einfache, unvermittelte Gewißheit desselben; der Gegenstand selbst ist daher ebenso als unmittelbarer, als seiender und in sich reflektierter, weiter als unmittelbar einzelner bestimmt; - sinnliches Bewußtsein.

Das Bewußtsein als Verhältnis enthält nur die dem abstrakten 10/205 Ich oder formellen Denken angehörigen Kategorien, die ihm Bestimmungen des Objekts sind (§ 415). Das sinnliche Bewußtsein weiß daher von diesem nur als einem Seienden, Etwas, existierenden Dinge, Einzelnen und so fort. Es erscheint als das reichste an Inhalt, ist aber das ärmste an Gedanken. Jene reiche Erfüllung machen die Gefühlsbestimmungen aus; sie sind der Stoff des Bewußtseins (§ 414), das Substantielle und Qualitative, das in der anthropologischen Sphäre die Seele ist und in sich findet. Diesen Stoff trennt die Reflexion der Seele in sich, Ich, von sich ab und gibt ihm zunächst die Bestimmung des Seins. - Die räumliche und zeitliche Einzelheit, Hier und Jetzt, wie ich in der Phänomenologie des Geistes, S. 25 ff., den Gegenstand des sinnlichen Bewußtseins bestimmt habe, gehört eigentlich dem Anschauen an. Das Objekt ist hier zunächst nur nach dem Verhältnisse zu nehmen, welches es zu dem Bewußtsein hat, nämlich ein demselben Äußerliches, noch nicht als an ihm selbst Äußerliches oder als Außersichsein bestimmt zu sein.

Zusatz. Die erste der im vorigen Paragraphen genannten drei Entwicklungsstufen des phänomenologischen Geistes, nämlich das Bewußtsein, hat in sich selber die drei Stufen α) des sinnlichen, β) des wahrnehmenden und γ) des verständigen Bewußtseins. In dieser Folge offenbart sich ein logischer Fortgang.
α) Zuerst ist das Objekt ein ganz unmittelbares, seiendes; so erscheint es dem sinnlichen Bewußtsein. Aber diese Unmittelbarkeit hat keine Wahrheit; von ihr muß zu dem wesentlichen Sein des Objekts fortgegangen werden.
β) Wenn das Wesen der Dinge Gegenstand des Bewußtseins wird, so ist dieses nicht mehr sinnliches, sondern wahrnehmendes Bewußtsein. Auf diesem Standpunkt werden die einzelnen Dinge auf ein Allgemeines bezogen, aber auch nur bezogen; es kommt daher hier noch keine wahrhafte Einheit des Einzelnen und des Allgemeinen, sondern nur eine Vermischung dieser beiden Seiten zustande. Darin liegt ein Widerspruch, der zur dritten Stufe des Bewußtseins,
γ) zum verständigen Bewußtsein forttreibt und daselbst seine 10/206 Lösung insofern findet, als dort der Gegenstand zur Erscheinung eines für sich seienden Inneren herabgesetzt oder erhoben wird. Solche Erscheinung ist das Lebendige. An der Betrachtung desselben zündet sich das Selbstbewußtsein an, denn in dem Lebendigen schlägt das Objekt in das Subjektive um, - da entdeckt das Bewußtsein sich selber als das Wesentliche des Gegenstandes, reflektiert sich aus dem Gegenstande in sich selbst, wird sich selber gegenständlich.
Nach dieser allgemeinen Übersicht der drei Entwicklungsstufen des Bewußtseins wenden wir uns jetzt zuvörderst näher zu dem sinnlichen Bewußtsein.
Dieses ist von den anderen Weisen des Bewußtseins nicht dadurch unterschieden, daß bei ihm allein das Objekt durch die Sinne an mich käme, sondern vielmehr dadurch, daß auf dem Standpunkt desselben das Objekt, möge dieses nun ein äußerliches oder ein innerliches sein, noch weiter gar keine Gedankenbestimmung hat als die, erstens überhaupt zu sein und zweitens ein selbständiges Anderes gegen mich, ein Insichreflektiertes, ein Einzelnes gegen mich als Einzelnen, Unmittelbaren zu sein. Der besondere Inhalt des Sinnlichen, zum Beispiel Geruch, Geschmack, Farbe usw., fällt, wie wir § 401 gesehen haben, der Empfindung anheim. Die dem Sinnlichen eigentümliche Form aber, das Sich-selber-äußerlich-Sein, das Außereinandertreten in Raum und Zeit, ist die (wie wir § 448 sehen werden) von der Anschauung erfaßte Bestimmung des Objekts, - dergestalt, daß für das sinnliche Bewußtsein als solches nur die obengenannte Denkbestimmung übrigbleibt, kraft welcher der vielfache besondere Inhalt der Empfindungen sich zu einem außer mir seienden Eins zusammennimmt, das auf diesem Standpunkte von mir auf unmittelbare, vereinzelte Weise gewußt wird, zufällig jetzt in mein Bewußtsein kommt und dann wieder daraus verschwindet, überhaupt sowohl seiner Existenz wie seiner Beschaffenheit nach für mich ein Gegebenes, also ein solches ist, von welchem ich nicht weiß, wo es herkommt, warum es diese bestimmte Natur hat und ob es ein Wahres ist.
Aus dieser kurzen Angabe der Natur des unmittelbaren oder sinnlichen Bewußtseins erhellt, daß dasselbe eine für den an und für sich allgemeinen Inhalt des Rechtes, des Sittlichen und der Religion durchaus unangemessene, solchen Inhalt verderbende Form ist, da in jenem Bewußtsein dem absolut Notwendigen Ewigen, Unendlichen, Innerlichen die Gestalt eines Endlichen, Vereinzelten, Sich-selber-Äußerlichen gegeben wird. Wenn man daher in neueren Zeiten bloß ein unmittelbares Wissen von Gott hat zugestehen wollen, so hat man sich auf ein Wissen borniert, welches von Gott nur dies auszusagen vermag, daß er ist, daß er 10/207 außer uns existiert und daß er der Empfindung diese und diese Eigenschaften zu besitzen scheint. Solches Bewußtsein bringt es zu weiter nichts als zu einem sich für religiös haltenden Pochen und Dicktun mit seinen zufälligen Versicherungen in betreff der Natur des ihm jenseitigen Göttlichen.

§ 419

Das Sinnliche als Etwas wird ein Anderes; die Reflexion des Etwas in sich, das Ding, hat viele Eigenschaften und als Einzelnes in seiner Unmittelbarkeit mannigfaltige Prädikate. Das viele Einzelne der Sinnlichkeit wird daher ein Breites, - eine Mannigfaltigkeit von Beziehungen, Reflexionsbestimmungen und Allgemeinheiten. - Dies sind logische Bestimmungen, durch das Denkende, d. i. hier durch das Ich gesetzt. Aber für dasselbe als erscheinend hat der Gegenstand sich so verändert. Das sinnliche Bewußtsein ist in dieser Bestimmung des Gegenstandes Wahrnehmen.

Zusatz. Der Inhalt des sinnlichen Bewußtseins ist an sich selber dialektisch. Er soll das Einzelne sein; aber eben damit ist er nicht ein Einzelnes, sondern alles Einzelne; und gerade indem der einzelne Inhalt Anderes von sich ausschließt, bezieht er sich auf Anderes, erweist er sich als über sich hinausgehend, als abhängig von Anderem, als durch dasselbe vermittelt, als in sich selber Anderes habend. Die nächste Wahrheit des unmittelbar Einzelnen ist also sein Bezogenwerden auf Anderes. Die Bestimmungen dieser Beziehung sind dasjenige, was man Reflexionsbestimmungen nennt und das diese Bestimmungen auffassende Bewußtsein ist das Wahrnehmen.