c. Das Recht gegen das Unrecht
§ 496

Das Recht, als Dasein der Freiheit im Äußerlichen, fällt in eine Mehrheit von Beziehungen auf dies Äußerliche und auf die anderen Personen (§ 491, 493 ff.). Dadurch gibt es 1. mehrere Rechtsgründe, von denen, indem das Eigentum sowohl nach der Seite der Person als der Sache ausschließend individuell ist, nur einer das Rechte ist, die aber, weil sie gegeneinander sind, gemeinschaftlich als Schein des Rechts gesetzt werden, gegen welchen dieses nun als das Recht an sich bestimmt ist.

§ 497

Indem gegen diesen Schein das eine Recht an sich, noch in unmittelbarer Einheit mit den verschiedenen Rechtsgründen, als affirmativ gesetzt, gewollt und anerkannt wird, liegt die Verschiedenheit nur darin, daß diese Sache durch den besonderen Willen dieser Personen unter das Recht subsumiert wird; - das unbefangene Unrecht. - Dieses Unrecht ist ein einfaches negatives Urteil, welches den bürgerlichen Rechtsstreit ausdrückt, zu dessen Schlichtung ein drittes Urteil, das als das Urteil des Rechts an sich ohne Interesse bei der Sache und die Macht ist, sich gegen jenen Schein Dasein zu geben, erfordert wird.

§ 498

2. Wird aber der Schein des Rechts als solcher gegen das Recht-an-sich von dem besonderen Willen gewollt, der hiermit böse wird, so wird die äußerliche Anerkennung des Rechts von dessen Werte getrennt und nur jene respektiert, indem dieses verletzt wird. Dies gibt das Unrecht des Betrugs; - das unendliche Urteil als identisches (§ 173), - die 10/309 beibehaltene formelle Beziehung mit Weglassung des Gehaltes.

§ 499

3. Insofern endlich der besondere Wille sich dem Recht-an-sich in der Negation sowohl desselben selbst als dessen Anerkennung oder Scheins entgegenstellt (negativ unendliches Urteil, § 173, in welchem sowohl die Gattung als die besondere Bestimmtheit, hier die erscheinende Anerkennung negiert wird), ist er gewalttätig-böser Wille, der ein Verbrechen begeht.

§ 500

Solche Handlung ist als Verletzung des Rechts an und für sich nichtig. Als Wille und Denkendes stellt in ihr der Handelnde ein aber formelles und nur von ihm anerkanntes Gesetz auf, ein Allgemeines, das für ihn gilt und unter welches er durch seine Handlung zugleich sich selbst subsumiert hat. Die dargestellte Nichtigkeit dieser Handlung, die Ausführung in einem dieses formellen Gesetzes und des Rechts-an-sich, zunächst durch einen subjektiven einzelnen Willen, ist die Rache, welche, weil sie von dem Interesse unmittelbarer, partikulärer Persönlichkeit ausgeht, zugleich eine neue Verletzung, ins Unendliche fort, ist. Dieser Progreß hebt sich gleichfalls in einem dritten Urteil, das ohne Interesse ist, der Strafe, auf.

§ 501

Das sich Geltendmachen des Rechts-an-sich ist vermittelt α) dadurch, daß ein besonderer Wille, der Richter, dem Rechte angemessen ist und gegen das Verbrechen sich zu richten das Interesse hat (was zunächst in der Rache zufällig ist), und β) durch die (zunächst gleichfalls zufällige) Macht der Ausführung, die durch den Verbrecher gesetzte Negation des Rechts zu negieren. Diese Negation des Rechts hat im Willen des Verbrechers ihre Existenz; die Rache oder Strafe wendet sich daher 1. an die Person oder das Eigentum des Verbrechers, 2. und übt Zwang gegen denselben aus. Der Zwang findet in dieser Sphäre des Rechts überhaupt, schon 10/310 gegen die Sache in der Ergreifung und in Behauptung derselben gegen die Ergreifung eines anderen, statt, da in dieser Sphäre der Wille sein Dasein unmittelbar in einer äußerlichen Sache (als solcher oder der Leiblichkeit) hat und nur an dieser ergriffen werden kann. - Mehr nicht als möglich aber ist der Zwang, insofern ich mich als frei aus jeder Existenz, ja aus dem Umfange derselben, dem Leben, herausziehen kann. Rechtlich ist er nur als das Aufheben eines ersten, unmittelbaren Zwangs.

§ 502

Es hat sich ein Unterschied vom Recht und vom subjektiven Willen entwickelt. Die Realität des Rechts, welche sich der persönliche Wille zunächst auf unmittelbare Weise gibt, zeigt sich durch den subjektiven Willen, das dem Rechte-an-sich Dasein gebende oder auch von demselben sich abscheidende und ihm entgegensetzende Moment, vermittelt. Umgekehrt ist der subjektive Wille in dieser Abstraktion, die Macht über das Recht zu sein, für sich ein Nichtiges; er hat wesentlich nur Wahrheit und Realität, indem er in ihm selbst als das Dasein des vernünftigen Willens ist, - Moralität.

Der Ausdruck Naturrecht, der für die philosophische Rechtslehre gewöhnlich gewesen, enthält die Zweideutigkeit, ob das Recht als ein in unmittelbarer Naturweise vorhandenes oder ob es so gemeint sei, wie es durch die Natur der Sache, d. i. den Begriff, sich bestimme. Jener Sinn ist der vormals gewöhnlich gemeinte; so daß zugleich ein Naturzustand erdichtet worden ist, in welchem das Naturrecht gelten solle, wogegen der Zustand der Gesellschaft und des Staates vielmehr eine Beschränkung der Freiheit und eine Aufopferung natürlicher Rechte fordere und mit sich bringe. In der Tat aber gründen sich das Recht und alle seine Bestimmungen allein auf die freie Persönlichkeit, eine Selbstbestimmung, welche vielmehr das Gegenteil der Naturbestimmung ist. Das Recht der Natur ist darum das Dasein der Stärke und das Geltendmachen 10/311 der Gewalt, und ein Naturzustand ein Zustand der Gewalttätigkeit und des Unrechts, von welchem nichts Wahreres gesagt werden kann, als daß aus ihm herauszugehen ist. Die Gesellschaft ist dagegen vielmehr der Zustand, in welchem allein das Recht seine Wirklichkeit hat; was zu beschränken und aufzuopfern ist, ist eben die Willkür und Gewalttätigkeit des Naturzustandes.