Zweite Abteilung der Logik. Die Lehre vom Wesen

§ 112

Das Wesen ist der Begriff als gesetzter Begriff, die Bestimmungen sind im Wesen nur relative, noch nicht als schlechthin in sich reflektiert; darum ist der Begriff noch nicht als Fürsich. Das Wesen, als das durch die Negativität seiner selbst sich mit sich vermittelnde Sein, ist die Beziehung auf sich selbst, nur indem sie Beziehung auf Anderes ist, das aber unmittelbar nicht als Seiendes, sondern als ein Gesetztes und Vermitteltes ist. - Das Sein ist nicht verschwunden, sondern erstlich ist das Wesen, als einfache Beziehung auf sich selbst, Sein; fürs andere ist aber das Sein nach seiner einseitigen Bestimmung, unmittelbares zu sein, zu einem nur negativen herabgesetzt, zu einem Scheine. - Das Wesen ist hiermit das Sein als Scheinen in sich selbst.

Das Absolute ist das Wesen. - Diese Definition ist insofern dieselbe als die, daß es das Sein ist, insofern Sein gleichfalls die einfache Beziehung auf sich ist; aber sie ist zugleich höher, weil das Wesen das in sich gegangene Sein ist, d. i. seine einfache Beziehung auf sich ist diese Beziehung, gesetzt als die Negation des Negativen, als Vermittlung seiner in sich mit sich selbst. - Indem das Absolute als Wesen bestimmt wird, wird aber die Negativität häufig nur in dem Sinne einer Abstraktion von allen bestimmten Prädikaten genommen. Dieses negative Tun, das Abstrahieren, fällt dann außerhalb des Wesens, und das Wesen selbst ist so nur als ein Resultat ohne diese seine Prämisse, das caput mortuum der Abstraktion. Aber da diese Negativität dem Sein nicht äußerlich, sondern seine eigene Dialektik ist, so ist seine Wahrheit, das Wesen, als das in sich gegangene oder in sich seiende Sein; seinen Unterschied vom unmittelbaren Sein macht jene Reflexion, sein Scheinen in sich selbst, aus, und sie ist die eigentümliche Bestimmung des Wesens selbst. 8/231

Zusatz. Wenn wir vom Wesen sprechen, so unterscheiden wir davon das Sein als das Unmittelbare und betrachten dieses im Hinblick auf das Wesen als einen bloßen Schein. Dieser Schein ist nun aber nicht gar nicht, nicht ein Nichts, sondern das Sein als aufgehobenes. - Der Standpunkt des Wesens ist überhaupt der Standpunkt der Reflexion. Der Ausdruck Reflexion wird zunächst vom Lichte gebraucht, insofern dasselbe in seinem geradlinigen Fortgange auf eine spiegelnde Fläche trifft und von dieser zurückgeworfen wird. Wir haben somit hier ein Gedoppeltes: einmal ein Unmittelbares, ein Seiendes, und dann zweitens dasselbe als ein Vermitteltes oder Gesetztes. Dies ist nun aber eben der Fall, wenn wir über einen Gegenstand reflektieren oder (wie man auch zu sagen pflegt) nachdenken, insofern es hier nämlich den Gegenstand nicht gilt in seiner Unmittelbarkeit, sondern wir denselben als vermittelt wissen wollen. Man pflegt wohl auch die Aufgabe oder den Zweck der Philosophie so aufzufassen, daß das Wesen der Dinge erkannt werden soll, und versteht darunter eben nur so viel, daß die Dinge nicht in ihrer Unmittelbarkeit gelassen, sondern als durch Anderes vermittelt oder begründet nachgewiesen werden sollen. Das unmittelbare Sein der Dinge wird hier gleichsam als eine Rinde oder als ein Vorhang vorgestellt, hinter welchem das Wesen verborgen ist. - Wenn dann ferner gesagt wird: alle Dinge haben ein Wesen, so wird damit ausgesprochen, daß sie wahrhaft nicht das sind, als was sie sich unmittelbar erweisen. Es ist dann auch nicht abgetan mit einem bloßen Herumtreiben aus einer Qualität in eine andere und mit einem bloßen Fortgehen aus dem Qualitativen ins Quantitative und umgekehrt, sondern es ist in den Dingen ein Bleibendes, und dies ist zunächst das Wesen. Was nunmehr die sonstige Bedeutung und den Gebrauch der Kategorie des Wesens anbetrifft, so kann hier zunächst daran erinnert werden, wie wir uns im Deutschen beim Hilfszeitwort sein zur Bezeichnung der Vergangenheit des Ausdrucks Wesen bedienen, indem wir das vergangene Sein als gewesen bezeichnen. Dieser Irregularität des Sprachgebrauchs liegt insofern eine richtige Anschauung vom Verhältnis des Seins zum Wesen zugrunde, als wir das Wesen allerdings als das vergangene Sein betrachten können, wobei dann nur noch zu bemerken ist, daß dasjenige, was vergangen ist, deshalb nicht abstrakt negiert, sondern nur aufgehoben und somit zugleich konserviert ist. Sagen wir z. B.: Cäsar ist in Gallien gewesen, so ist damit nur die Unmittelbarkeit dessen, was hier vom Cäsar ausgesagt wird, nicht aber sein Aufenthalt in Gallien überhaupt negiert, denn dieser ist es ja eben, der den Inhalt dieser Aussage bildet, welcher Inhalt aber hier als aufgehoben vorgestellt wird. - Wenn im gemeinen Leben vom Wesen 8/232 die Rede ist, so hat dies häufig nur die Bedeutung einer Zusammenfassung oder eines Inbegriffs, und man spricht demgemäß z. B. vom Zeitungswesen, vom Postwesen, vom Steuerwesen usw., worunter dann nur so viel verstanden wird, daß diese Dinge nicht einzeln in ihrer Unmittelbarkeit, sondern als ein Komplex und dann etwa auch weiter in ihren verschiedenen Beziehungen genommen werden sollen. In solchem Sprachgebrauch ist dann nur so ungefähr dasjenige enthalten, was sich uns als das Wesen ergeben hat. - Man spricht dann auch von endlichen Wesen und nennt den Menschen ein endliches Wesen. Wenn indes vom Wesen gesprochen wird, so ist man eigentlich über die Endlichkeit hinaus, und diese Bezeichnung des Menschen ist insofern ungenau. Wenn dann ferner gesagt wird: es gibt ein höchstes Wesen, und Gott damit bezeichnet werden soll, so ist hierüber zweierlei zu bemerken. Einmal nämlich ist der Ausdruck geben ein solcher, der auf Endliches hindeutet und wir sagen so z. B.: es gibt soundsoviel Planeten, oder: es gibt Pflanzen von solcher und es gibt Pflanzen von solcher Beschaffenheit. Das, was es so gibt, ist somit etwas, außer und neben welchem es auch noch anderes gibt. Nun aber ist Gott, als der schlechthin Unendliche, nicht ein solcher, den es eben nur gibt und außer und neben welchem es auch noch andere Wesen gibt. Was es außer Gott sonst noch gibt, dem kommt in seiner Trennung von Gott keine Wesentlichkeit zu, vielmehr ist dasselbe in dieser Isolierung als ein in sich Halt- und Wesenloses, als ein bloßer Schein zu betrachten. Hierin liegt nun aber auch zweitens, daß es ungenügend genannt werden muß, von Gott bloß als höchstem Wesen zu sprechen. Die hier zur Anwendung gebrachte Kategorie der Quantität findet in der Tat ihre Stelle nur im Bereich des Endlichen. Wir sagen so z. B.: dies ist der höchste Berg auf der Erde, und haben dabei die Vorstellung, daß es außer diesem höchsten Berg auch noch andere, gleichfalls hohe Berge gibt. Ebenso verhält es sich, wenn wir von jemand sagen, daß er der reichste oder der gelehrteste Mann in seinem Lande ist. Gott ist indes nicht bloß ein und auch nicht bloß das höchste, sondern vielmehr das Wesen, wobei dann aber auch sogleich zu bemerken ist, daß, obschon diese Auffassung Gottes eine wichtige und notwendige Stufe in der Entwicklung des religiösen Bewußtseins bildet, doch durch dieselbe die Tiefe der christlichen Vorstellung von Gott noch keineswegs erschöpft wird. Betrachten wir Gott nur als das Wesen schlechthin und bleiben wir dabei stehen, so wissen wir ihn nur, erst als die allgemeine, widerstandslose Macht oder, anders ausgedrückt, als den Herrn. Nun aber ist die Furcht des Herrn wohl der Anfang, aber auch nur der Anfang der Weisheit. - Es ist zunächst die jüdische und dann weiter die mohammedanische Religion, in 8/233 welchen Gott als der Herr und wesentlich nur als der Herr aufgefaßt wird. Der Mangel dieser Religionen besteht überhaupt darin, daß hier das Endliche nicht zu seinem Rechte kommt, welches Endliche für sich festzuhalten (sei es als ein Natürliches oder als ein Endliches des Geistes) das Charakteristische der heidnischen und hiermit zugleich polytheistischen Religionen ausmacht. - Ferner ist es nun aber auch häufig geschehen, daß man behauptet hat, Gott, als das höchste Wesen, könne nicht erkannt werden. Dies ist überhaupt der Standpunkt der modernen Aufklärung und näher des abstrakten Verstandes, welcher sich damit begnügt zu sagen: il y a un être suprême, und es dann dabei bewenden läßt. Wenn so gesprochen und Gott nur als das höchste jenseitige Wesen betrachtet wird, so hat man die Welt in ihrer Unmittelbarkeit vor sich als etwas Festes, Positives, und vergißt dabei, daß das Wesen gerade die Aufhebung alles Unmittelbaren ist. Gott als das abstrakte jenseitige Wesen, außerhalb dessen hiermit der Unterschied und die Bestimmtheit fällt, ist in der Tat ein bloßer Name, ein bloßes caput mortuum des abstrahierenden Verstandes. Die wahre Erkenntnis Gottes fängt damit an, zu wissen, daß die Dinge in ihrem unmittelbaren Sein keine Wahrheit haben.
Nicht bloß in Beziehung auf Gott, sondern auch in sonstiger Beziehung geschieht es häufig, daß man sich der Kategorie des Wesens in abstrakter Weise bedient und dann bei Betrachtung der Dinge das Wesen derselben als ein gegen den bestimmten Inhalt ihrer Erscheinung Gleichgültiges und für sich Bestehendes fixiert. Man pflegt so namentlich zu sagen, es komme bei den Menschen nur auf ihr Wesen an und nicht auf ihr Tun und ihr Betragen. Darin liegt nun zwar das Richtige, daß dasjenige, was ein Mensch tut, nicht in seiner Unmittelbarkeit, sondern nur als vermittelt durch sein Inneres und als Manifestation seines Innern zu betrachten ist. Nur darf dabei nicht übersehen werden, daß das Wesen und dann weiter das Innere sich eben nur dadurch als solche bewähren, daß sie in die Erscheinung heraustreten; wohingegen jener Berufung der Menschen auf ihr von dem Inhalt ihres Tuns unterschiedenes Wesen nur die Absicht zugrunde zu liegen pflegt, ihre bloße Subjektivität geltend zu machen und sich dem, was an und für sich gültig ist, zu entziehen.

§ 113

Die Beziehung-auf-sich im Wesen ist die Form der Identität, der Reflexion-in-sich; diese ist hier an die Stelle der Unmittelbarkeit des Seins getreten; beide sind dieselben Abstraktionen der Beziehung-auf-sich. 8/234

Die Gedankenlosigkeit der Sinnlichkeit, alles Beschränkte und Endliche für ein Seiendes zu nehmen, geht in die Hartnäckigkeit des Verstandes über, es als ein mit sich Identisches, sich in sich nicht Widersprechendes zu fassen.

§ 114

Diese Identität erscheint, als aus dem Sein herkommend, zunächst nur mit den Bestimmungen des Seins behaftet und darauf als auf ein Äußerliches bezogen. Wird dasselbe so von dem Wesen abgesondert genommen, so heißt es das Unwesentliche. Aber das Wesen ist Insichsein, es ist wesentlich, nur insofern es das Negative seiner in ihm selbst, die Beziehung-auf-Anderes, die Vermittlung in ihm selbst hat. Es hat daher das Unwesentliche als seinen eigenen Schein in sich. Aber indem das Unterscheiden im Scheinen oder Vermitteln enthalten ist, das Unterschiedene aber im Unterschiede von derjenigen Identität, aus der es kommt und in der es nicht ist oder als Schein liegt, selbst die Form der Identität erhält, so ist dasselbe so in der Weise der sich auf sich beziehenden Unmittelbarkeit oder des Seins; die Sphäre des Wesens wird dadurch zu einer noch unvollkommenen Verknüpfung der Unmittelbarkeit und der Vermittlung. Es ist in ihr alles so gesetzt, daß es sich auf sich bezieht und daß zugleich darüber hinausgegangen ist, - als ein Sein der Reflexion, ein Sein, in dem ein Anderes scheint und das in einem Anderen scheint. - Sie ist daher auch die Sphäre des gesetzten Widerspruches, der in der Sphäre des Seins nur an sich ist.

Es kommen in der Entwicklung des Wesens, weil der eine Begriff in allem das Substantielle ist, dieselben Bestimmungen vor als in der Entwicklung des Seins, aber in reflektierter Form. Also statt des Seins und Nichts treten jetzt die Formen des Positiven und Negativen ein, jenes zunächst dem gegensatzlosen Sein als Identität entsprechend, dieses entwickelt (in sich scheinend) als der Unterschied; - so ferner das Werden als Grund sogleich selbst 8/235 des Daseins, das, als auf den Grund reflektiert, Existenz ist usf. - Dieser (der schwerste) Teil der Logik enthält vornehmlich die Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften überhaupt, - als Erzeugnisse des reflektierenden Verstandes, der die Unterschiede als selbständig annimmt und zugleich auch ihre Relativität setzt, beides aber nur neben- oder nacheinander durch ein Auch verbindet und diese Gedanken nicht zusammenbringt, sie nicht zum Begriffe vereint.