C. Die Philosophie

§ 572

Diese Wissenschaft ist insofern die Einheit der Kunst und Religion, als die der Form nach äußerliche Anschauungsweise der ersteren, deren subjektives Produzieren und Zersplittern des substantiellen Inhalts in viele selbständige Gestalten, in der Totalität der zweiten, deren in der Vorstellung sich entfaltendes Auseinandergehen und Vermitteln des Entfalteten, nicht nur zu einem Ganzen zusammengehalten, sondern auch in die einfache geistige Anschauung vereint und dann zum selbstbewußten Denken erhoben ist. Dies Wissen ist damit der denkend erkannte Begriff der Kunst und Religion, in welchem das in dem Inhalte Verschiedene als notwendig und dies Notwendige als frei erkannt ist.

§ 573

Die Philosophie bestimmt sich hiernach zu einem Erkennen von der Notwendigkeit des Inhalts der absoluten Vorstellung sowie von der Notwendigkeit der beiden Formen, einerseits der unmittelbaren Anschauung und ihrer Poesie und der voraussetzenden Vorstellung, der objektiven und äußerlichen Offenbarung, andererseits zuerst des subjektiven Insichgehens, dann der subjektiven Hinbewegung und des Identifizierens des Glaubens mit der Voraussetzung. Dies Erkennen ist so das Anerkennen dieses Inhalts und seiner Form und die Befreiung von der Einseitigkeit der Formen und Erhebung derselben in die absolute Form, die sich selbst 10/378 zum Inhalte bestimmt und identisch mit ihm bleibt und darin das Erkennen jener an und für sich seienden Notwendigkeit ist. Diese Bewegung, welche die Philosophie ist, findet sich schon vollbracht, indem sie am Schluß ihren eigenen Begriff erfaßt, d. i. nur auf ihr Wissen zurücksieht.

Es könnte hier der Ort zu sein scheinen, das Verhältnis der Philosophie zur Religion in einer bestimmten Auseinandersetzung abzuhandeln. Worauf es ganz allein ankommt, ist der Unterschied der Formen des spekulativen Denkens von den Formen der Vorstellung und des reflektierenden Verstandes. Es ist aber der ganze Verlauf der Philosophie und der Logik insbesondere, welcher diesen Unterschied nicht nur zu erkennen gegeben, sondern auch beurteilt oder vielmehr die Natur desselben an diesen Kategorien selbst sich hat entwickeln und richten lassen. Nur auf dem Grund dieser Erkenntnis der Formen läßt sich die wahrhafte Überzeugung, um die es sich handelte, gewinnen, daß der Inhalt der Philosophie und der Religion derselbe ist, abgesehen von dem weiteren Inhalte der äußeren Natur und des endlichen Geistes, was nicht in den Umkreis der Religion fällt. Aber die Religion ist die Wahrheit für alle Menschen, der Glaube beruht auf dem Zeugnis des Geistes, der als zeugend der Geist im Menschen ist. Dies Zeugnis, an sich substantiell, faßt sich, insofern es sich zu explizieren getrieben ist, zunächst in diejenige Bildung, welche die sonstige seines weltlichen Bewußtseins und Verstandes ist; hierdurch verfällt die Wahrheit in die Bestimmungen und Verhältnisse der Endlichkeit überhaupt. Dies hindert nicht, daß der Geist seinen Inhalt, der als religiös wesentlich spekulativ ist, selbst im Gebrauche sinnlicher Vorstellungen und der endlichen Kategorien des Denkens gegen dieselbe festhalte, ihnen Gewalt antue und inkonsequent gegen sie sei. Durch diese Inkonsequenz korrigiert er das Mangelhafte derselben; es ist darum dem Verstande nichts leichter, als Widersprüche 10/379 in der Exposition des Glaubens aufzuzeigen und so seinem Prinzipe, der formellen Identität, Triumphe zu bereiten. Gibt der Geist dieser endlichen Reflexion nach, welche sich Vernunft und Philosophie (Rationalismus) genannt hat, so verendlicht er den religiösen Inhalt und macht ihn in der Tat zunichte. Die Religion hat dann ihr vollkommenes Recht, gegen solche Vernunft und Philosophie sich zu verwahren und feindselig zu erklären. Ein anderes aber ist es, wenn sie sich gegen die begreifende Vernunft und gegen Philosophie überhaupt und bestimmt auch gegen eine solche setzt, deren Inhalt spekulativ und damit religiös ist. Solche Entgegensetzung beruht auf dem Mangel an Einsicht in die Natur des angegebenen Unterschieds und des Werts der geistigen Formen überhaupt und besonders der Denkformen, und am bestimmtesten an Einsicht in den Unterschied des Inhalts von jenen Formen, der in beiden derselbe sein kann. Es ist auf dem Grund der Form, daß die Philosophie von der religiösen Seite her, und umgekehrt wegen ihres spekulativen Inhalts, daß sie von einer sich so nennenden Philosophie, ingleichen von einer inhaltslosen Frömmigkeit Vorwürfe und Beschuldigungen erfahren hat; für jene hätte sie von Gott zu wenig in ihr, für diese zu viel.
Die Beschuldigung des Atheismus, die man sonst häufig der Philosophie gemacht hat, - daß sie zu wenig von Gott habe, ist selten geworden; desto verbreiteter aber ist die Beschuldigung des Pantheismus, daß sie zu viel davon habe; so sehr, daß dies nicht sowohl für eine Beschuldigung als für ein erwiesenes oder selbst keines Beweises bedürftiges, für ein bares Faktum gilt. Besonders die Frömmigkeit, die in ihrer frommen Vornehmigkeit sich des Beweisens ohnehin entübrigt glaubt, überläßt im Einklange mit der leeren Verstandesphilosophie, der sie so sehr entgegengesetzt sein will, in der Tat aber ganz auf 10/380 dieser Bildung beruht, sich der Versicherung, gleichsam als nur der Erwähnung einer bekannten Sache, daß die Philosophie die All-Eins-Lehre oder Pantheismus sei. Man muß sagen, daß es der Frömmigkeit und der Theologie selbst mehr Ehre gemacht hat, ein philosophisches System, z. B. den Spinozismus, des Atheismus als des Pantheismus zu beschuldigen, obgleich jene Beschuldigung auf den ersten Anblick härter und individiöser aussieht (vgl. § 71 Anm.). Die Beschuldigung des Atheismus setzt doch eine bestimmte Vorstellung von einem inhaltsvollen Gott voraus und entsteht dann daher, daß die Vorstellung die eigentümlichen Formen, an welche sie gebunden ist, in den philosophischen Begriffen nicht wiederfindet. Es kann nämlich wohl die Philosophie ihre eigenen Formen in den Kategorien der religiösen Vorstellungsweise sowie hiermit ihren eigenen Inhalt in dem religiösen Inhalte erkennen und diesem Gerechtigkeit widerfahren lassen, aber nicht umgekehrt, da die religiöse Vorstellungsweise auf sich selbst nicht die Kritik des Gedankens anwendet und sich nicht begreift, in ihrer Unmittelbarkeit daher ausschließend ist. Die Beschuldigung des Pantheismus statt des Atheismus gegen die Philosophie fällt vornehmlich in die neuere Bildung, in die neue Frömmigkeit und neue Theologie, welcher die Philosophie zu viel Gott hat, so sehr, daß er ihrer Versicherung nach sogar Alles, und Alles Gott sein solle. Denn diese neue Theologie, welche die Religion nur zu einem subjektiven Gefühle macht und die Erkenntnis der Natur Gottes leugnet, behält damit weiter nichts als einen Gott überhaupt ohne objektive Bestimmungen. Ohne eigenes Interesse für den konkreten, erfüllten Begriff Gottes betrachtet sie solchen nur als ein Interesse, welches andere einmal gehabt haben, und behandelt deswegen das, was zur Lehre von der konkreten Natur Gottes gehört, bloß als etwas Historisches. Der unbestimmte Gott ist in allen Religionen zu finden; jede Art von Frömmigkeit (§ 72) - die indische gegen Affen, Kühe 10/381 usf. oder gegen den Dalai-Lama, die ägyptische gegen den Ochsen usw. - ist immer Verehrung eines Gegenstandes, der bei seinen absurden Bestimmungen auch das Abstrakte der Gattung, des Gottes überhaupt, enthält. Wenn jener Ansicht solcher Gott hinlänglich ist, um Gott in allem, was Religion genannt wird, zu finden, so muß sie solchen wenigstens auch in der Philosophie anerkannt finden und kann diese nicht wohl des Atheismus mehr bezichtigen. Die Milderung des Vorwurfs des Atheismus in den des Pantheismus hat daher nur in der Oberflächlichkeit der Vorstellung ihren Grund, zu welcher diese Mildigkeit sich Gott verdünnt und ausgeleert hat. Indem nun jene Vorstellung an ihrer abstrakten Allgemeinheit festhält, außerhalb welcher alle Bestimmtheit fällt, so ist ferner die Bestimmtheit nur das Ungöttliche, die weltliche Existenz der Dinge, welche hierdurch in fester, ungestörter Substantialität verbleibt. Mit solcher Voraussetzung wird auch bei der an und für sich seienden Allgemeinheit, welche von Gott in der Philosophie behauptet wird und in welcher das Sein der äußerlichen Dinge keine Wahrheit hat, vor wie nach dabei geblieben, daß die weltlichen Dinge doch ihr Sein behalten und daß sie es sind, welche das Bestimmte an der göttlichen Allgemeinheit ausmachen. So machen sie jene Allgemeinheit zu der, welche sie die pantheistische nennen, - daß Alles, d. h. die empirischen Dinge ohne Unterschied, die höher geachteten wie die gemeinen, sei, Substantialität besitze, und dies Sein der weltlichen Dinge sei Gott. - Es ist nur die eigene Gedankenlosigkeit und eine daraus hervorgehende Verfälschung der Begriffe, welche die Vorstellung und Versicherung von dem Pantheismus erzeugt.
Aber wenn diejenigen, welche irgendeine Philosophie für Pantheismus ausgeben, dies einzusehen nicht fähig und willens sind - denn eben die Einsicht von Begriffen ist es, was sie nicht wollen -, so hätten sie es vor allem nur als Faktum zu konstatieren, daß irgendein Philosoph oder 10/382 irgendein Mensch in der Tat den allen Dingen an und für sich seiende Realität, Substantialität zugeschrieben und sie für Gott angesehen [habe], daß irgendeinem Menschen solche Vorstellung in den Kopf gekommen sei außer ihnen selbst allein. Dieses Faktum will ich noch in dieser exoterischen Betrachtung beleuchten; was nicht anders geschehen kann, als daß die Fakta selbst vor Augen gelegt werden. Wollen wir den sogenannten Pantheismus in seiner poetischen, erhabensten oder, wenn man will, krassesten Gestalt nehmen, so hat man sich dafür bekanntlich in den morgenländischen Dichtern umzusehen, und die breitesten Darstellungen finden sich in dem Indischen. Unter dem Reichtum, der uns hierüber geöffnet ist, wähle ich aus der uns am authentischsten vorliegenden Bhagavad-gita und unter ihren zum Überdruß ausgeführten und wiederholten Tiraden etliche der sprechendsten Stellen aus. In der zehnten Lektion (bei Schlegel S. 162350) ) sagt Krischna von sich:
Ich bin der Odem, der in dem Leibe der Lebendigen inwohnt; ich bin der Anfang, die Mitte der Lebendigen, ingleichen ihr Ende. - Ich bin unter den Gestirnen die strahlende Sonne, unter den lunarischen Zeichen der Mond. Unter den heiligen Büchern das Buch der Hymnen, unter den Sinnen der Sinn, der Verstand der Lebendigen usf. Unter den Rudrus bin ich Schiwa, Meru unter den Gipfeln der Berge, unter den Bergen Himalaya usf., unter den Tieren der Löwe usf., unter den Buchstaben bin ich A, unter den Jahreszeiten bin ich der Frühling usf. Ich bin der Same aller Dinge, es gibt keines, das ohne mich ist usf.
Selbst in diesen ganz sinnlichen Schildereien gibt sich Krischna (und man muß nicht meinen, außer Krischna sei hier noch sonst Gott oder ein Gott; wie er vorhin sagte, er sei Schiwa, auch Indra, so ist von ihm nachher 10/383 (11. Lekt., Sl. 15) gesagt, daß auch Brahma in ihm sei) nur für das Vortrefflichste von Allem, aber nicht für Alles aus; es ist überall der Unterschied gemacht zwischen äußerlichen, unwesentlichen Existenzen und einer wesentlichen unter ihnen, die er sei. Auch wenn es zu Anfang der Stelle heißt, er sei der Anfang, die Mitte und das Ende der Lebendigen, so ist diese Totalität von den Lebendigen selbst als einzelnen Existenzen unterschieden. Man kann hiermit selbst solche die Göttlichkeit in ihrer Existenz weit ausdehnende Schilderung noch nicht Pantheismus nennen; man müßte vielmehr nur sagen, die unendlich vielfache empirische Welt, das Alles, sei auf eine beschränktere Menge von wesentlichen Existenzen, auf einen Polytheismus, reduziert. Aber es liegt schon im Angeführten, daß selbst auch diese Substantialitäten des Äußerlichexistierenden nicht die Selbständigkeit behalten, um Götter genannt werden zu können; sogar Schiwa, Indra usf. lösen sich in dem einen Krischna auf.
Zu dieser Reduktion geht es ausdrücklicher in folgender Schilderung (7. Lekt., Sl. 7 ff.) fort; Krischna spricht: Ich bin der Ursprung der ganzen Welt und ihre Auflösung. Vortrefflicher als mich gibt es nichts. An mir hängt das Universum, wie an einer Schnur die Reihen der Perlen. Ich bin der Geschmack in den Wassern, der Glanz in Sonne und Mond, der mystische Name in allen heiligen Büchern usf., das Leben in allem Lebendigen usw., der Verstand der Verständigen, die Kraft der Starken usf. Er fügt dann hinzu, daß durch die Maya (Schlegel: Magia), die auch nichts Selbständiges, sondern nur die seinige ist, durch die eigentümlichen Qualitäten, die Welt getäuscht, ihn, den Höheren, den Unwandelbaren, nicht erkenne, daß diese Maya schwer zu durchbrechen sei; die aber Teil an ihm haben, haben sie überwunden usf. - Die Vorstellung faßt sich dann in den einfachen Ausdruck zusammen; am Ende vieler Wiedergeburten, sagt Krischna, schreitet der mit der Wissenschaft Begabte zu mir fort: Wasudewa 10/384 (d. i. Krischna) ist das All; wer diese Überzeugung hat, dieser Großsinnige ist schwer zu finden. Andere wenden sich zu anderen Göttern; ich belohne sie nach ihrem Glauben, aber der Lohn solcher wenig Einsichtigen ist beschränkt. Die Toren halten mich für sichtbar, - mich den Unsichtbaren, Unvergänglichen, usf. - Dieses All, als welches sich Krischna ausspricht, ist ebensowenig als das Eleatische Eine und die Spinozistische Substanz das Alles. Dies Alles vielmehr, die unendlich-viele sinnliche Vielheit des Endlichen ist in allen diesen Vorstellungen als das Akzidentelle bestimmt, das nicht an und für sich ist, sondern seine Wahrheit an der Substanz, dem Einen hat, welches, verschieden von jenem Akzidentellen, allein das Göttliche und Gott sei. Die indische Religion geht ohnehin zur Vorstellung des Brahman fort, der reinen Einheit des Gedankens in sich selbst, worin das empirische Alles der Welt, wie auch jene nächsten Substantialitäten, welche Götter heißen, verschwinden. Colebrooke351)  und viele andere haben darum die indische Religion in ihrem Wesentlichen als Monotheismus bestimmt. Daß diese Bestimmung nicht unrichtig ist, geht aus dem wenigen Angeführten hervor. Aber diese Einheit Gottes, und zwar geistigen Gottes, ist so wenig konkret in sich, sozusagen so kraftlos, daß die indische Religion die ungeheure Verwirrung ist, ebensosehr der tollste Polytheismus zu sein. Aber die Abgötterei des elenden Inders, indem er den Affen oder was sonst anbetet, ist immer noch nicht jene elende Vorstellung des Pantheismus, daß Alles Gott, Gott Alles sei. Der indische Monotheismus ist übrigens selbst ein Beispiel, wie wenig mit dem bloßen Monotheismus getan ist, wenn die Idee Gottes nicht tief in ihr selbst bestimmt ist. Denn jene Einheit, insofern sie abstrakt in sich und hiermit leer ist, führt es sogar selbst herbei, außer ihr das Konkrete überhaupt, sei es als eine Menge von Göttern oder von empirischen, 10/385 weltlichen Einzelheiten, selbständig zu haben. Jenen Pantheismus sogar könnte man konsequent nach der seichten Vorstellung desselben noch einen Monotheismus nennen; denn wenn nach derselben Gott identisch mit der Welt ist, gäbe es, da es nur eine Welt gibt, somit in diesem Pantheismus auch nur einen Gott. Die leere numerische Einheit muß etwa von der Welt prädiziert werden, aber diese abstrakte Bestimmung hat weiter kein besonderes Interesse; vielmehr ist diese numerische Einheit eben dies, in ihrem Inhalte die unendliche Vielheit und Mannigfaltigkeit der Endlichkeiten zu sein. Es ist aber jene Täuschung mit der leeren Einheit, welche allein die schlechte Vorstellung eines Pantheismus möglich macht und herbeiführt. Nur die im unbestimmten Blauen schwebende Vorstellung von der Welt als einem Dinge, dem All, konnte man etwa mit Gott verknüpfbar ansehen; nur daraus wurde es möglich, daß man dafür hielt, daß gemeint worden sei, Gott sei die Welt; denn wäre die Welt, wie sie ist, als Alles, als die endlose Menge der empirischen Existenzen genommen worden, so hätte man doch wohl nicht es auch nur für möglich gehalten, daß es einen Pantheismus gegeben, der von solchem Inhalte behauptet habe, er sei Gott.
Will man, um noch einmal auf das Faktische zurückzukommen, das Bewußtsein des Einen, nicht nach der indischen Spaltung einesteils in die bestimmungslose Einheit des abstrakten Denkens, andernteils in die ermüdende, selbst litaneiartig werdende Durchführung am Besonderen, sondern es in der schönsten Reinheit und Erhabenheit sehen, so muß man sich bei den Mohammedanern umsehen. Wenn z. B. bei dem vortrefflichen Dschelaleddin Rumi insbesondere die Einheit der Seele mit dem Einen, auch diese Einheit als Liebe hervorgehoben wird, so ist diese geistige Einheit eine Erhebung über das Endliche und Gemeine, eine Verklärung des Natürlichen und Geistigen, in welcher eben das Äußerliche, Vergängliche des 10/386 unmittelbaren Natürlichen wie des empirischen, weltlichen Geistigen ausgeschieden und absorbiert wird.352) 
Ich enthalte mich, die Beispiele von den religiösen und poetischen Vorstellungen zu vermehren, die man pantheistisch zu nennen gewohnt ist. Von den Philosophien, welchen man eben diesen Namen gegeben, z. B. der Eleatischen oder Spinozistischen, ist schon früher (§ 50 Anm.) erinnert worden, daß sie so wenig Gott mit der Welt identifizieren und endlich machen, daß in diesen Philosophien dies Alles vielmehr keine Wahrheit hat und daß man sie richtiger als Monotheismen und, in Beziehung auf die Vorstellung von der Welt, als Akosmismen zu bezeichnen hätte. Am genauesten würden sie als die Systeme bestimmt, welche das Absolute nur als die Substanz fassen. 10/387
Von den orientalischen, insbesondere mohammedanischen Vorstellungsweisen kann man mehr sagen, daß das Absolute als die schlechthin allgemeine Gattung erscheint, welche den Arten, den Existenzen, einwohnt, aber so, daß diesen keine wirkliche Realität zukommt. Der Mangel dieser sämtlichen Vorstellungsweisen und Systeme ist, nicht zur Bestimmung der Substanz als Subjekt und als Geist fortzugehen.
Diese Vorstellungsweisen und Systeme gehen von dem einen und gemeinschaftlichen Bedürfnisse aller Philosophien wie aller Religionen aus, eine Vorstellung von Gott und dann von dem Verhältnis desselben und der Welt zu fassen. In der Philosophie wird es näher erkannt, daß aus der Bestimmung der Natur Gottes sich sein Verhältnis zur Welt bestimmt. Der reflektierende Verstand fängt damit an, die Vorstellungsweisen und Systeme des Gemüts, der Phantasie und der Spekulation zu verwerfen, welche den Zusammenhang Gottes und der Welt ausdrücken; und um Gott rein im Glauben oder Bewußtsein zu haben, wird er als das Wesen von der Erscheinung, als der Unendliche von dem Endlichen geschieden. Nach dieser Scheidung tritt aber die Überzeugung auch von der Beziehung der Erscheinung auf das Wesen, des Endlichen auf den Unendlichen usf. und damit die nun reflektierende Frage nach der Natur dieser Beziehung ein. Es ist in der Form der Reflexion über sie, wo die ganze Schwierigkeit der Sache liegt. Diese Beziehung ist es, welche das Unbegreifliche von jenen, die von Gottes Natur nichts wissen wollen, genannt wird. Am Schlusse der Philosophie ist nicht mehr der Ort, auch überhaupt nicht in einer exoterischen Betrachtung, ein Wort darüber zu verlieren, was Begreifen heiße. Da aber mit dem Auffassen dieser Beziehung das Auffassen der Wissenschaft überhaupt und alle Beschuldigungen gegen dieselbe zusammenhängen, so mag noch dies darüber erinnert werden, daß, indem die Philosophie es allerdings mit der Einheit überhaupt, aber nicht mit der 10/389 abstrakten, der bloßen Identität und dem leeren Absoluten, sondern mit der konkreten Einheit (dem Begriffe) zu tun und in ihrem ganzen Verlaufe ganz allein es damit zu tun hat, - daß jede Stufe des Fortgangs eine eigentümliche Bestimmung dieser konkreten Einheit ist und die tiefste und letzte der Bestimmungen der Einheit die des absoluten Geistes ist. Denjenigen nun, welche über die Philosophie urteilen und sich über sie äußern wollen, wäre zuzumuten, daß sie sich auf diese Bestimmungen der Einheit einließen und sich um die Kenntnis derselben bemühten, wenigstens so viel wüßten, daß dieser Bestimmungen eine große Vielheit und daß eine große Verschiedenheit unter ihnen ist. Sie zeigen aber so wenig eine Kenntnis hiervon und noch weniger eine Bemühung damit, daß sie vielmehr, sowie sie von Einheit - und die Beziehung enthält sogleich Einheit - hören, bei der ganz abstrakten, unbestimmten Einheit stehenbleiben und von dem, worein allein alles Interesse fällt, nämlich der Weise der Bestimmtheit der Einheit, abstrahieren. So wissen sie nichts über die Philosophie auszusagen, als daß die trockene Identität ihr Prinzip und Resultat und daß sie das Identitätssystem sei. An diesen begrifflosen Gedanken der Identität sich haltend, haben sie gerade von der konkreten Einheit, dem Begriffe und dem Inhalte der Philosophie gar nichts, sondern vielmehr sein Gegenteil gefaßt. Sie verfahren in diesem Felde wie in dem physischen die Physiker, welche gleichfalls wohl wissen, daß sie mannigfaltige sinnliche Eigenschaften und Stoffe - oder gewöhnlich nur Stoffe (denn die Eigenschaften verwandeln sich ihnen gleichfalls in Stoffe) - vor sich haben und daß diese Stoffe auch in Beziehung aufeinander stehen. Nun ist die Frage, welcher Art diese Beziehung sei, und die Eigentümlichkeit und der ganze Unterschied aller natürlichen, unorganischen und lebendigen Dinge beruht allein auf der verschiedenen Bestimmtheit dieser Einheit. Statt aber diese Einheit in ihren verschiedenen Bestimmtheiten zu 10/390 erkennen, faßt die gewöhnliche Physik (die Chemie mit eingeschlossen) nur die eine, die äußerlichste, schlechteste auf, nämlich die Zusammensetzung, wendet nur sie in der ganzen Reihe der Naturgebilde an und macht es sich damit unmöglich, irgendeines derselben zu fassen. - Jener schale Pantheismus geht so unmittelbar aus jener schalen Identität hervor; die, welche dies ihr eigenes Erzeugnis zur Beschuldigung der Philosophie gebrauchen, vernehmen aus der Betrachtung der Beziehung Gottes auf die Welt, daß von dieser Kategorie, Beziehung, das eine, aber auch nur das eine Moment, und zwar das Moment der Unbestimmtheit, die Identität ist; nun bleiben sie in dieser Halbheit der Auffassung stehen und versichern faktisch falsch, die Philosophie behaupte die Identität Gottes und der Welt, und indem ihnen zugleich beides, die Welt sosehr als Gott, feste Substantialität hat, so bringen sie heraus, daß in der philosophischen Idee Gott zusammengesetzt sei aus Gott und der Welt; und dies ist dann die Vorstellung, welche sie vom Pantheismus machen und welche sie der Philosophie zuschreiben. Die, welche in ihrem Denken und Auffassen der Gedanken nicht über solche Kategorien hinauskommen und von denselben aus, die sie in die Philosophie, allwo dergleichen nicht vorhanden ist, hineintragen, ihr die Krätze anhängen, um sie kratzen zu können, vermeiden alle Schwierigkeiten, die sich beim Auffassen der Beziehung Gottes auf die Welt hervortun, sogleich und sehr leicht dadurch, daß sie eingestehen, diese Beziehung enthalte für sie einen Widerspruch, von dem sie nichts verstehen; daher sie es bei der ganz unbestimmten Vorstellung solcher Beziehung und ebenso der näheren Weisen derselben, z. B. der Allgegenwart, Vorsehung usf., bewenden lassen müssen. Glauben heißt in diesem Sinne nichts anderes, als nicht zu einer bestimmten Vorstellung fortgehen, auf den Inhalt sich weiter nicht einlassen wollen. Daß Menschen und Stände von ungebildetem Verstande mit unbestimmten Vorstellungen befriedigt sind, 10/391 ist zusammenstimmend; aber wenn gebildeter Verstand und Interesse für die reflektierende Betrachtung in dem, was für höheres und das höchste Interesse anerkannt wird, mit unbestimmten Vorstellungen sich begnügen will, so ist schwer zu unterscheiden, ob es dem Geiste mit dem Inhalt in der Tat Ernst ist. Wenn es aber denen, die an dem angegebenen kahlen Verstande hängen, z. B. mit Behauptung der Allgegenwart Gottes in dem Sinne Ernst würde, daß sie den Glauben daran in bestimmter Vorstellung sich präsent machten, in welche Schwierigkeit würde der Glaube, den sie an wahrhafte Realität der sinnlichen Dinge haben, sie verwickeln? Sie würden Gott nicht wohl wie Epikur in den Zwischenräumen der Dinge, d. i. in den Poren der Physiker, wohnen lassen wollen, als welche Poren das Negative sind, was neben dem Materiell-Reellen sein soll. Schon in diesem Neben würden sie ihren Pantheismus der Räumlichkeit haben, - ihr Alles, als das Außereinander des Raumes bestimmt. Indem sie aber Gott eine Wirksamkeit auf und in dem erfüllten Raum, auf und in der Welt, in seiner Beziehung auf sie, zuschreiben würden, so hätten sie die unendliche Zersplitterung göttlicher Wirklichkeit in die unendliche Materialität, sie hätten die schlechte Vorstellung, welche sie Pantheismus oder All-Eins-Lehre nennen, in der Tat nur als die eigene notwendige Konsequenz ihrer schlechten Vorstellungen von Gott und der Welt. Dergleichen wie die vielbesprochene Einheit oder Identität aber der Philosophie aufzubürden, ist eine so große Sorglosigkeit um Gerechtigkeit und Wahrheit, daß sie nur durch die Schwierigkeit, sich Gedanken und Begriffe, d. h. nicht die abstrakte Einheit, sondern die vielgestalteten Weisen ihrer Bestimmtheit, in den Kopf zu schaffen, begreiflich gemacht werden könnte. Wenn faktische Behauptungen aufgestellt werden und die Fakta Gedanken und Begriffe sind, so ist es unerläßlich, dergleichen zu fassen. Aber auch die Erfüllung dieser Anforderung hat sich dadurch überflüssig 10/392 gemacht, daß es längst zu einem ausgemachten Vorurteil geworden, die Philosophie sei Pantheismus, Identitätssystem, All-Eins-Lehre, so daß derjenige, der dies Faktum nicht wüßte, entweder nur als unwissend über eine bekannte Sache oder als um irgendeines Zwecks willen Ausflüchte suchend behandelt würde. - Um dieses Chorus willen habe ich geglaubt, mich weitläufiger und exoterisch über die äußere und innere Unwahrheit dieses angeblichen Faktums erklären zu müssen; denn über die äußerliche Fassung von Begriffen als bloßen Faktis, wodurch eben die Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt werden, läßt sich zunächst auch nur exoterisch sprechen. Die esoterische Betrachtung aber Gottes und der Identität wie des Erkennens und der Begriffe ist die Philosophie selbst.

§ 574

Dieser Begriff der Philosophie ist die sich denkende Idee, die wissende Wahrheit (§ 236), das Logische mit der Bedeutung, daß es die im konkreten Inhalte als in seiner Wirklichkeit bewährte Allgemeinheit ist. Die Wissenschaft ist auf diese Weise in ihren Anfang zurückgegangen und das Logische so ihr Resultat als das Geistige, daß es aus dem voraussetzenden Urteilen, worin der Begriff nur an sich und der Anfang ein Unmittelbares war, hiermit aus der Erscheinung, die es darin an ihm hatte, in sein reines Prinzip zugleich als in sein Element sich erhoben hat.

§ 575

Es ist dieses Erscheinen, welches zunächst die weitere Entwicklung begründet. Die erste Erscheinung macht der Schluß aus, welcher das Logische zum Grunde als Ausgangspunkt und die Natur zur Mitte hat, die den Geist mit demselben zusammenschließt. Das Logische wird zur Natur und die Natur zum Geiste. Die Natur, die zwischen dem Geiste und seinem Wesen steht, trennt sie zwar nicht zu Extremen endlicher 10/393 Abstraktion, noch sich von ihnen zu einem Selbständigen, das als Anderes nur Andere zusammenschlösse; denn der Schluß ist in der Idee und die Natur wesentlich nur als Durchgangspunkt und negatives Moment bestimmt und an sich die Idee; aber die Vermittlung des Begriffs hat die äußerliche Form des Übergehens und die Wissenschaft die des Ganges der Notwendigkeit, so daß nur in dem einen Extreme die Freiheit des Begriffs als sein Zusammenschließen mit sich selbst gesetzt ist.

§ 576

Diese Erscheinung ist im zweiten Schlusse insoweit aufgehoben, als dieser bereits der Standpunkt des Geistes selbst ist, welcher das Vermittelnde des Prozesses ist, die Natur voraussetzt und sie mit dem Logischen zusammenschließt. Es ist der Schluß der geistigen Reflexion in der Idee; die Wissenschaft erscheint als ein subjektives Erkennen, dessen Zweck die Freiheit und es selbst der Weg ist, sich dieselbe hervorzubringen.

§ 577

Der dritte Schluß ist die Idee der Philosophie, welche die sich wissende Vernunft, das Absolut-Allgemeine zu ihrer Mitte hat, die sich in Geist und Natur entzweit, jenen zur Voraussetzung als den Prozeß der subjektiven Tätigkeit der Idee und diese zum allgemeinen Extreme macht, als den Prozeß der an sich, objektiv, seienden Idee. Das Sich-Urteilen der Idee in die beiden Erscheinungen (§ 575/6) bestimmt dieselben als ihre (der sich wissenden Vernunft) Manifestationen, und es vereinigt sich in ihr, daß die Natur der Sache, der Begriff, es ist, die sich fortbewegt und entwickelt, und diese Bewegung ebensosehr die Tätigkeit des Erkennens ist, die ewige an und für sich seiende Idee sich ewig als absoluter Geist betätigt, erzeugt und genießt. 10/394

350) Bhagavad-gita, hrsg. v. August Wilhelm von Schlegel, Bonn 1823

351) Henry Thomas Colebrooke, 1756-1837, Hauptbegründer der Indologie

352) *Ich kann mich nicht enthalten, zum Behuf einer näheren Vorstellung etliche Stellen hier anzuführen, die zugleich eine Vorstellung von der bewundernswürdigen Kunst der Übertragung des Herrn Rückert [Friedrich Rückert, "Mewlana Dschelaleddin Rumi", in Taschenbuch der Damen auf das Jahr 1821; Hegel zitiert nur einzelne Verspaare, nicht die vollständigen Gedichte], aus der sie genommen sind, geben mögen:
 
III. Ich sah empor, und sah in allen Räumen Eines,
Hinab, und sah in allen Wellenschäumen Eines.
Ich sah ins Herz, es war ein Meer, ein Raum der Welten
Voll tausend Träum', ich sah in allen Träumen Eines.
Luft, Feuer, Erd und Wasser sind in Eins geschmolzen
In deiner Furcht, daß dir nicht wagt zu bäumen Eines.
Der Herzen alles Lebens zwischen Erd und Himmel
Anbetung dir zu schlagen soll nicht säumen Eines.
V. Obgleich die Sonn' ein Scheinchen ist deines Scheines nur,
Doch ist mein Licht und deines ursprünglich Eines nur.
Ob Staub zu deinen Füßen der Himmel ist, der kreist;
Doch Eines ist und Eines mein Sein und deines nur.
Der Himmel wird zum Staube, zum Himmel wird der Staub,
Und Eines bleibt und Eines, dein Wesen meines nur.
Wie kommen Lebensworte, die durch den Himmel gehn
Zu ruhn im engen Raume des Herzensschreines nur?
Wie bergen Sonnenstrahlen, um heller aufzublühn,
Sich in die spröden Hüllen des Edelsteines nur?
Wie darf Erdmoder speisend und trinkend Wasserschlamm,
Sich bilden die Verklärung des Rosenhaines nur?
Wie ward, was als ein Tröpflein die stumme Muschel sog,
Als Perlenglanz die Wonne des Sonnenscheines nur?
Herz, ob du schwimmst in Fluten, ob du in Gluten glimmst:
Flut ist und Glut ein Wasser; sei deines, reines nur.
IX. Ich sage dir, wie aus dem Ton der Mensch geformt ist:
Weil Gott dem Tone blies den Odem ein der Liebe.
Ich sage dir, warum die Himmel immer kreisen:
Weil Gottes Thron sie füllt mit Widerschein der Liebe.
Ich sage dir, warum die Morgenwinde blasen:
Frisch aufzublättern stets den Rosenhain der Liebe.
Ich sage dir, warum die Nacht den Schleier umhängt:
Die Welt zu einem Brautzelt einzuweihn der Liebe.
Ich kann die Rätsel alle dir der Schöpfung sagen:
Denn aller Rätsel Lösung ist allein der Liebe.
XV. Wohl endet Tod des Lebens Not,
Doch schauert Leben vor dem Tod.
So schauert vor der Lieb' ein Herz,
Als ob es sei vom Tod bedroht.
Denn wo die Lieb' erwachet, stirbt
Das Ich, der dunkele Despot.
Du laß ihn sterben in der Nacht
Und atme frei im Morgenrot.
 
Wer wird in dieser über das Äußerliche und Sinnliche sich aufschwingenden Poesie die prosaische Vorstellung erkennen, die von dem sogenannten Pantheismus gemacht wird und die vielmehr das Göttliche in das Äußerliche und Sinnliche herabversetzt? Die reichen Mitteilungen, welche uns Herr Tholuck in seiner Schrift, Blütensammlung aus der morgenländischen Mystik [Berlin 1825], von den Gedichten Dschelaleddins und anderer gibt, sind eben in dem Gesichtspunkte gemacht, von welchem hier die Rede ist. In der Einleitung beweist Herr Th., wie tief sein Gemüt die Mystik erfaßt hat; er bestimmt daselbst auch näher den Charakter der morgenländischen und den der abendländischen und christlichen gegen dieselbe. Bei ihrer Verschiedenheit haben sie die gemeinschaftliche Bestimmung, Mystik zu sein. Die Verbindung der Mystik mit dem sogenannten Pantheismus, sagt er S. 33, enthält die innere Lebendigkeit des Gemüts und Geistes, welche wesentlich darin besteht, jenes äußerliche Alles, das dem Pantheismus zugeschrieben zu werden pflegt, zu vernichten. Sonst läßt Herr Th. es bei der gewöhnlichen unklaren Vorstellung von Pantheismus bewenden; eine gründlichere Erörterung derselben hatte zunächst für den Gefühlsstandpunkt des Herrn Verfassers kein Interesse; man sieht ihn selbst aber durch eine nach dem gewöhnlichen Ausdruck ganz pantheistisch zu nennende Mystik von wunderbarer Begeisterung ergriffen. Wo er jedoch sich auf das Philosophieren einläßt (S. 12 f.), kommt er über den gewöhnlichen Standpunkt der Verstandes-Metaphysik und ihre unkritischen Kategorien nicht hinaus.